
Euro-Beben: Frankreichs Schicksalstag könnte Europas Währung erschüttern
Die Eurozone steht möglicherweise vor ihrer schwersten Bewährungsprobe seit der Finanzkrise. Am kommenden Montag, dem 8. September, könnte sich in Paris entscheiden, ob der Euro in eine neue Existenzkrise schlittert. Der französische Premierminister François Bayrou steht vor einer Vertrauensabstimmung, die er nach allen Vorzeichen verlieren wird. Was dann folgt, könnte eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamte europäische Finanzsystem erschüttert.
Die Illusion der gelösten Krise
Wer glaubte, die Eurokrise sei mit Mario Draghis berühmtem "Whatever it takes"-Versprechen von 2012 beendet worden, wurde getäuscht. Die Notfallgipfel, die brennenden Straßen Athens und die hastigen Rettungspakete mögen aus den Schlagzeilen verschwunden sein - die strukturellen Probleme jedoch blieben und verschärften sich sogar. Die europäischen Schulden erreichten neue Rekordstände, Banken sind weiterhin mit Staatsanleihen vollgestopft wie Gänse vor Weihnachten, und die politischen Systeme vieler EU-Staaten gleichen mittlerweile eher Trümmerhaufen als funktionierenden Demokratien.
Europa sitzt auf einem Pulverfass, und die Lunte könnte ausgerechnet in Frankreich entzündet werden - nicht in einem peripheren Krisenstaat wie damals Griechenland, sondern im Herzen der Währungsunion.
Frankreichs politisches Chaos als Brandbeschleuniger
Die französische Republik ist praktisch unregierbar geworden. Das Parlament ist dreigeteilt zwischen Macrons Mitte, Le Pens Rechten und Mélenchons Linken. Keine Fraktion verfügt über eine Mehrheit, aber je zwei können sich zusammentun, um die dritte zu blockieren - ein perfektes Rezept für politische Lähmung.
Bayrou muss ein Sparpaket von 44 Milliarden Euro durchs Parlament bringen. Die geplanten Maßnahmen lesen sich wie ein Horrorkatalog für die verwöhnte französische Gesellschaft: Streichung von Feiertagen, eingefrorene Renten, gekürzte Sozialleistungen. Sowohl Linke als auch Rechte haben bereits angekündigt, die Regierung zu stürzen. Das Scheitern ist so gut wie programmiert.
Die tickende Schuldenbombe
Mit einer Staatsverschuldung von 3,35 Billionen Euro - etwa 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - ist Frankreich längst in gefährliche Gewässer geraten. Zum Vergleich: Griechenland machte während der Eurokrise weniger als zwei Prozent der Eurozone aus. Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft des Währungsraums.
Derzeit leihen Investoren dem französischen Staat noch zu moderaten 3,5 Prozent Zinsen. Doch politische Instabilität hat ihren Preis. Jeder zusätzliche Prozentpunkt würde den französischen Haushalt mit weiteren 34 Milliarden Euro belasten - Geld, das der Staat nicht hat.
"Wenn neue französische Anleihen plötzlich sechs Prozent Zinsen bringen müssen, verlieren die alten Anleihen mit drei Prozent massiv an Wert. Hier beginnt das große Kopfzerbrechen für Europas vernetztes Finanzsystem."
Die Ansteckungsgefahr im Bankensystem
Französische Banken halten große Mengen heimischer Staatsanleihen. Diese machen zwar nur 3,3 Prozent ihres Gesamtbesitzes aus, entsprechen aber erschreckenden 71 Prozent ihres Eigenkapitals. Ein Wertverlust dieser Anleihen würde die Kapitalpuffer der Banken praktisch pulverisieren.
Die Verflechtungen reichen weit über Frankreichs Grenzen hinaus. Deutsche Banken haben Forderungen gegenüber französischen Schuldnern von über 200 Milliarden Euro. Italienische und spanische Institute sind ähnlich exponiert. Was in Paris beginnt, könnte schnell zu einem gesamteuropäischen Flächenbrand werden.
TARGET2: Der versteckte Sprengsatz
Ein kaum beachtetes, aber hochbrisantes Detail ist das TARGET2-Zahlungssystem der Eurozone. Deutschland hat hier mittlerweile Forderungen von über einer Billion Euro aufgebaut - ein klares Zeichen dafür, dass massive Kapitalflucht aus den Südländern stattfindet. Italien schuldet 410 Milliarden, Spanien 440 Milliarden. Diese Zahlen übersteigen die Werte von 2012 deutlich.
Das System funktionierte bisher, weil Deutschland als sicherer Hafen galt. Doch was passiert, wenn auch die deutsche Wirtschaft ins Straucheln gerät? Die neue Große Koalition in Berlin kämpft mit internen Querelen und historisch schlechten Umfragewerten. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal 2025 um 0,3 Prozent. Wohin soll das Kapital fliehen, wenn auch der vermeintlich sichere Hafen leckt?
Die EZB in der Zwickmühle
Die Europäische Zentralbank verfügt theoretisch über Instrumente für solche Krisen. Ihr "Transmission Protection Instrument" erlaubt unbegrenzte Anleihekäufe - allerdings nur für Länder, die sich an die EU-Fiskalregeln halten. Frankreich mit einem Defizit von 5,8 Prozent (erlaubt sind 3 Prozent) und einer Verschuldung von fast dem Doppelten des EU-Limits erfüllt diese Voraussetzungen nicht einmal ansatzweise.
Ein Rettungseinsatz für Frankreich wäre rechtlich höchst umstritten und politisch explosiv. Die Wähler in Deutschland, den Niederlanden oder Finnland werden keine weitere Rettungsaktion für verschwenderische Südländer akzeptieren - schon gar nicht, wenn die eigene Wirtschaft schwächelt.
Die Todesspirale kehrt zurück
Was Experten während der letzten Krise als "Staatsschulden-Banken-Todesspirale" bezeichneten, könnte mit voller Wucht zurückkehren. Französische Schuldenprobleme würden zu deutschen Bankproblemen. Deutscher Bankenstress würde italienische Panik auslösen. Italienische Turbulenzen würden auf Spanien übergreifen. Die Währungsunion hat alle in ein Boot gezwungen - und dieses Boot nimmt zunehmend Wasser auf.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Seit 2012 stieg Frankreichs Schuldenquote von 90 auf 114 Prozent, Italiens von 123 auf 138 Prozent, Spaniens von 86 auf 104 Prozent. Länder, die damals noch Spielraum hatten, haben heute keinen mehr.
Too big to save
Nach 2012 schuf Europa Mechanismen für kleine Krisenstaaten wie Griechenland. Niemand bereitete sich auf eine Krise im Kern vor - in Frankreich, mit einem geschwächten Deutschland an der Seite. Das ist kein Fall von "too big to fail", sondern von "too big to save".
Vielleicht passiert all das nicht. Vielleicht finden Politiker einen Last-Minute-Kompromiss, vielleicht ignorieren die Märkte Bayrous Niederlage, vielleicht bricht die EZB ihre eigenen Regeln. Doch das pessimistische Szenario ist keineswegs unmöglich - möglicherweise nicht einmal unwahrscheinlich.
Am Montag werden wir erfahren, ob Bayrou überlebt. Falls nicht, werden wir sehen, ob Europas Pulverfass explodiert oder die Lunte doch noch erlischt. Die strukturellen Probleme der Eurozone jedenfalls bleiben bestehen - egal wie die Abstimmung ausgeht. Die Frage ist nur, ob die Krise jetzt kommt oder später. Dass sie kommt, scheint angesichts der Fakten unausweichlich.
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