
Polens ewige Reparationsforderungen: Wenn Geschichte zur politischen Währung wird
Wie ein Déjà-vu der besonderen Art mutet es an, wenn Polen zum 86. Jahrestag des deutschen Überfalls erneut die Reparationskarte zückt. Der frisch gekürte Präsident Karol Nawrocki nutzte die Gedenkfeier an der Westerplatte, um Deutschland einmal mehr zur Kasse zu bitten – diesmal mit der bemerkenswerten Begründung, dass ohne Zahlungen keine stabilen Beziehungen möglich seien. Man könnte meinen, die deutsch-polnische Freundschaft sei käuflich.
Die 1,3-Billionen-Euro-Rechnung
Die Summe, die Polen seit 2022 auf den Tisch legt, hat es in sich: 1,3 Billionen Euro sollen es sein. Eine astronomische Zahl, die selbst hartgesottene Finanzexperten schlucken lässt. Zum Vergleich: Das entspräche etwa einem Drittel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts oder mehr als dem Dreifachen des jährlichen Bundeshaushalts. Nawrocki, der von der nationalkonservativen PiS unterstützte Präsident, sieht in diesen Zahlungen nicht weniger als den "Schlüssel" für gute Beziehungen.
Bemerkenswert ist dabei die rhetorische Verknüpfung: Polen als "wichtigstes Land an der Ostflanke der NATO" brauche nicht nur Gerechtigkeit und Wahrheit, sondern eben auch deutsches Geld. Als ob die Verteidigung des Westens gegen östliche Bedrohungen plötzlich von historischen Reparationszahlungen abhinge. Diese Vermischung aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen mit Forderungen aus der Vergangenheit wirkt wie ein durchschaubares Manöver.
Die deutsche Position: Ein klares Nein
Die Bundesregierung – egal ob unter Merkel, Scholz oder nun Merz – bleibt bei ihrer Position: Die Reparationsfrage sei längst geklärt. Tatsächlich verzichtete die Volksrepublik Polen bereits 1953 auf weitere Zahlungen und bestätigte dies mehrfach. Die Verträge zur deutschen Wiedervereinigung hätten das Kapitel endgültig geschlossen. Juristisch steht Deutschland auf festem Boden.
Doch während Nawrocki die Reparationstrommel rührt, schweigt interessanterweise Regierungschef Donald Tusk zu diesem Thema. Der liberale Politiker, der die PiS-Regierung ablöste, scheint andere Prioritäten zu setzen. Statt auf historischen Forderungen herumzureiten, spricht er von der Verteidigung der "gesamten westlichen Welt". Ein pragmatischerer Ansatz, könnte man meinen.
Geschichte als politisches Instrument
Die Reparationsforderungen sind längst zu einem innenpolitischen Spielball geworden. Die PiS nutzt sie geschickt, um nationale Gefühle zu mobilisieren und sich als Verteidiger polnischer Interessen zu inszenieren. Dass ausgerechnet zum Gedenktag des deutschen Überfalls diese Forderungen erneuert werden, ist kein Zufall. Es ist die perfekte Bühne für historisch aufgeladene Rhetorik.
Dabei gerät in den Hintergrund, dass Deutschland bereits erhebliche Leistungen erbracht hat. Nicht nur durch direkte Zahlungen in der Nachkriegszeit, sondern auch durch massive EU-Transferleistungen, von denen Polen seit seinem Beitritt 2004 enorm profitiert hat. Allein zwischen 2014 und 2020 flossen über 100 Milliarden Euro an EU-Mitteln nach Polen – der größte Teil davon aus deutschen Steuerkassen.
Die Gefahr für Europa
Was Nawrocki und seine Unterstützer offenbar nicht bedenken: Ihre Forderungen könnten eine Büchse der Pandora öffnen. Wenn Polen auf Reparationen besteht, was hindert dann andere Länder daran, ähnliche Ansprüche zu stellen? Griechenland hat es bereits versucht. Italien könnte folgen. Am Ende stünde ein Europa, in dem historische Rechnungen die Gegenwart vergiften.
Die wahre Tragik liegt darin, dass solche Forderungen die deutsch-polnische Aussöhnung untergraben, die über Jahrzehnte mühsam aufgebaut wurde. Statt gemeinsam die Herausforderungen der Gegenwart anzugehen – von der russischen Bedrohung bis zur Migrationskrise – verliert man sich in Debatten über längst abgeschlossene Kapitel.
Es bleibt zu hoffen, dass die pragmatischeren Kräfte in Polen, wie sie Tusk zu verkörpern scheint, sich durchsetzen. Denn eines ist klar: Die Zukunft Europas wird nicht durch das Aufrechnen historischer Schulden gesichert, sondern durch gemeinsames Handeln in der Gegenwart. Alles andere ist politisches Theater auf Kosten der europäischen Einheit.