Kettner Edelmetalle
08.10.2024
06:13 Uhr

Handelspolitik: Droht die EU am Streit zwischen Scholz und Macron zu zerbrechen?

Handelspolitik: Droht die EU am Streit zwischen Scholz und Macron zu zerbrechen?

Die Spannungen zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz nehmen weiter zu. Der Streit um das geplante Mercosur-Abkommen könnte nun eskalieren und die Europäische Union vor eine Zerreißprobe stellen.

Uneinigkeit in der Handels- und Wirtschaftspolitik

Zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der EU, Frankreich und Deutschland, brodelt es gewaltig. Die unterschiedlichen Auffassungen in der Handels- und Wirtschaftspolitik führen zu immer größeren Differenzen. Während Macron vor den Gefahren eines „klassischen“ Freihandels warnt und mehr europäische Zusammenarbeit und Investitionen fordert, mahnt Scholz zur Vorsicht vor protektionistischen Maßnahmen und äußert sich zurückhaltend zu gemeinsamen Schulden der EU.

Strafzölle gegen chinesische Elektroautos

Am vergangenen Freitag setzte sich Paris mit seiner Position gegen Berlin durch, als die EU-Länder Strafzölle gegen chinesische Elektroautos beschlossen. Scholz hatte zuvor versucht, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, gegen die Maßnahme zu stimmen, die die stark vom chinesischen Markt abhängige deutsche Autoindustrie noch tiefer in die Krise stürzen könnte.

Das geplante Mercosur-Abkommen

Doch nun könnte Berlin Paris bei einem anderen Thema ausstechen: dem geplanten Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur. Diese Woche finden in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia Verhandlungen zwischen den Chefunterhändlern der EU und des Mercosur statt, um rechtzeitig zum G20-Gipfel Mitte November in Rio de Janeiro ein entsprechendes Abkommen unter Dach und Fach zu bringen.

Macrons Widerstand gegen Mercosur

Macron ist ein entschiedener Gegner des Mercosur-Abkommens, das er als „unfair“ bezeichnet. „Wir können nicht unserer Industrie und Landwirtschaft Regeln auferlegen und uns gleichzeitig Staaten öffnen, die diese Regeln nicht respektieren“, betont Macron, der die Konkurrenz für den französischen Agrarsektor durch billige Produkte aus Südamerika fürchtet. Deutschland hingegen pocht seit Jahren auf den Abschluss des Handelsabkommens, weil es sich davon neue Exportmärkte erhofft.

Politische Machtverhältnisse in der EU

Bereits Ende vergangenen Jahres hatte es kurzzeitig so ausgesehen, als stünden die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss, nachdem sich vor allem der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva des Projekts angenommen hatte. Das Abkommen sieht die Schaffung einer Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Menschen vor. Die Mercosur-Staaten sollen 93 Prozent ihrer Exporte zollfrei in die EU bringen können, die Zölle auf 91 Prozent aller EU-Exporte in die Mercosur-Staaten würden abgeschafft.

Doch Macron beerdigte das Projekt im März 2023 mit der Begründung, dass ein komplett neues Abkommen ausgehandelt werden müsse. Eine SMS des französischen Staatschefs an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen genügte, um die Verhandlungen zu stoppen. Inzwischen haben sich die Kräfteverhältnisse umgekehrt. Macron hat nach den Niederlagen bei den Europawahlen und den Parlamentswahlen in seinem Land an Einfluss in Brüssel verloren.

Scholz und von der Leyen drängen auf Abschluss

Die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hingegen ist nun stärker denn je und will das Mercosur-Abkommen so schnell wie möglich abschließen. Paris kritisiert, dass Brüssel deutsche Interessen gegen den Widerstand Frankreichs und anderer EU-Staaten durchsetze. Marie-Pierre Vedrenne, Europaabgeordnete von Macrons Partei Renaissance, verurteilte das Mercosur-Abkommen jüngst als Teil von „von der Leyens deutscher To-do-Liste“.

Die Zukunft der EU

Die Differenzen zwischen Paris und Berlin sind nicht neu und gipfelten sogar in der Absage einer gemeinsamen Kabinettssitzung im Jahr 2022. Auch persönliche Differenzen zwischen den beiden Regierungschefs tragen zur angespannten Lage bei. Doch die erneute Zuspitzung kommt für die EU zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die USA verfolgen eine protektionistische Politik, die europäische Unternehmen mit Milliardeninvestitionen lockt, während China immer selbstbewusster auftritt und Märkte erobert – insbesondere in den Bereichen neue Technologien und erneuerbare Energien. Um in diesem globalen Wettbewerb bestehen zu können, müsste sich die EU auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik einigen. Doch danach sieht es angesichts des Konflikts zwischen Paris und Berlin derzeit nicht aus.

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