
Seehofer stellt sich gegen Unionskritiker: Klare Kante für SPD-Richterin
Der Streit um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts offenbart einmal mehr die Zerrissenheit der deutschen Politik. Während die Unionsfraktion ihre eigene Führung desavouiert und eine gemeinsam nominierte Kandidatin fallen lässt, zeigt ausgerechnet der alte Haudegen Horst Seehofer, was politische Verlässlichkeit bedeutet. Der ehemalige CSU-Chef und langjährige Bundestagsabgeordnete hätte der SPD-Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf ohne Zögern seine Stimme gegeben – ein bemerkenswertes Statement in Zeiten, in denen parteitaktische Spielchen wichtiger zu sein scheinen als die Funktionsfähigkeit unserer Institutionen.
Wenn Absprachen nichts mehr wert sind
Die Causa Brosius-Gersdorf entwickelt sich zu einem Lehrstück über den Verfall politischer Kultur in Deutschland. Da einigt sich die Unionsfraktionsführung mit dem Koalitionspartner SPD auf eine Kandidatin, nominiert sie gemeinsam im Richterwahlausschuss – nur um dann vor dem eigenen Hinterbänklermob einzuknicken. Seehofers klare Ansage an die "Augsburger Allgemeine" trifft den Nagel auf den Kopf: "Wenn die gesamte Führung von CDU und CSU einem Abgeordneten die Wahl empfiehlt, so wie geschehen, hätte ich sie gewählt." Ein Satz, der in seiner Schlichtheit die ganze Misere der aktuellen Unionspolitik entlarvt.
Besonders pikant wird die Angelegenheit durch die Einlassungen von Markus Söder und Alexander Dobrindt. Der bayerische Ministerpräsident spricht von einer "Befangenheit" der Kandidatin – ausgelöst wohlgemerkt durch die politische Debatte, die seine eigene Partei vom Zaun gebrochen hat. Dobrindt geht noch weiter und legt der Juristin indirekt einen Verzicht nahe. Die Chuzpe, mit der hier die Verantwortung auf das Opfer der eigenen Unzuverlässigkeit abgewälzt wird, sucht ihresgleichen.
Das Verfassungsgericht als Spielball der Parteipolitik
Was hier geschieht, ist mehr als nur ein innerparteilicher Zwist. Es geht um die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des höchsten deutschen Gerichts. Wenn Absprachen zwischen den demokratischen Parteien nichts mehr wert sind, wenn einzelne Abgeordnete oder Landesverbände nach Gutdünken gemeinsame Entscheidungen torpedieren können, dann steht die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie auf dem Spiel.
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour warnt zu Recht davor, die Entscheidung an den Bundesrat zu delegieren. "So aufgeladen wie die politische Stimmung derzeit ist, wird es im Bundesrat nicht zwingend besser", konstatiert er nüchtern. Tatsächlich wäre es ein Armutszeugnis für den Bundestag, wenn er sich als unfähig erweisen würde, eine so wichtige Personalentscheidung zu treffen.
Die wahren Gründe hinter dem Widerstand
Hinter den vorgeschobenen Bedenken gegen Brosius-Gersdorf dürfte mehr stecken als nur persönliche Animositäten. Die Potsdamer Staatsrechtlerin gilt als unabhängige Denkerin, die sich nicht in parteipolitische Schubladen pressen lässt. Genau das scheint einigen in der Union ein Dorn im Auge zu sein. In Zeiten, in denen das Bundesverfassungsgericht immer wieder als letzte Instanz gegen politische Fehlentscheidungen angerufen wird, wünschen sich manche offenbar willfährigere Richter.
Gregor Gysis Warnung sollte ernst genommen werden: Wenn die SPD jetzt nachgibt, "macht man die Tür auf, dass künftig immer CDU und CSU über die Besetzung der von der SPD nominierten Verfassungsrichter entscheiden." Ein Präzedenzfall, der das sorgsam austarierte System der Richterwahl aus den Angeln heben würde.
Seehofers Vermächtnis: Verlässlichkeit statt Opportunismus
In diesem unwürdigen Schauspiel erweist sich ausgerechnet Horst Seehofer als Stimme der Vernunft. Der Mann, der in seiner aktiven Zeit nicht gerade als Musterbeispiel politischer Beständigkeit galt, zeigt seinen Nachfolgern, was politische Verantwortung bedeutet. Seine klare Positionierung für die gemeinsam nominierte Kandidatin ist ein Fanal gegen den grassierenden Opportunismus in der deutschen Politik.
Die Große Koalition unter Friedrich Merz täte gut daran, sich an Seehofers Haltung ein Beispiel zu nehmen. Statt parteitaktische Spielchen zu spielen, sollte sie sich auf ihre Verantwortung für die demokratischen Institutionen besinnen. Das Bundesverfassungsgericht ist zu wichtig, als dass es zum Spielball kleinkarierter Machtspiele werden dürfte. Wer gemeinsam nominiert, muss auch gemeinsam wählen – alles andere ist ein Verrat an den demokratischen Gepflogenheiten, die unser Land über Jahrzehnte stabil gehalten haben.