
Merz-Regierung im Kreuzfeuer: Dobrindt fordert Rückzug der umstrittenen Verfassungsrichterin
Die schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz steht vor ihrer ersten ernsthaften Belastungsprobe. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat der von der SPD nominierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf durch die Blume nahegelegt, ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückzuziehen. Ein Vorgang, der die Risse in der erst seit Mai regierenden Großen Koalition offenlegt und Fragen nach der Handlungsfähigkeit der neuen Regierung aufwirft.
Dobrindt spielt den Scharfmacher
In einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen" versuchte sich Dobrindt in einer bemerkenswerten rhetorischen Übung: Er gab vor, sich in die Lage der umstrittenen Kandidatin hineinzuversetzen, nur um ihr dann den Rückzug nahezulegen. "Als Bewerberin für eine Position im Verfassungsgericht hat man wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern", sagte der Innenminister – eine kaum verhüllte Aufforderung zum Verzicht.
Besonders pikant: Dobrindt behauptet, es hätte am vergangenen Freitag keine Mehrheit für Brosius-Gersdorf gegeben. Eine Aussage, die man durchaus als nachträgliche Rechtfertigung für das Chaos im Bundestag werten könnte. Denn die Union hatte die mit dem Koalitionspartner SPD verabredete Unterstützung in letzter Minute aufgekündigt – ein beispielloser Affront.
Söder legt nach: "Die Wand ist stärker"
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder springt seinem Parteifreund bei und verschärft den Ton. Im "Stern" sprach er von einer "Befangenheit" bei der Personalie, die dem Gericht schaden könne. Seine Warnung an die SPD klingt wie eine kaum verhohlene Drohung: "Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – da ist die Wand am Ende stärker."
Diese martialische Rhetorik offenbart, wie verhärtet die Fronten bereits sind. Die CSU-Granden scheinen entschlossen, die SPD in die Knie zu zwingen – koste es, was es wolle.
Der wahre Grund: Konservative Panik vor liberalen Positionen
Was steckt wirklich hinter dem erbitterten Widerstand gegen Brosius-Gersdorf? Die Juristin war ins Kreuzfeuer geraten, weil sie sich in der Vergangenheit differenziert zu Schwangerschaftsabbrüchen geäußert hatte. Kirchenvertreter hatten daraufhin eine regelrechte Kampagne gegen sie gestartet – basierend auf verkürzt und verzerrt wiedergegebenen Positionen.
Hier zeigt sich das wahre Problem: Die Union fürchtet offenbar, dass mit Brosius-Gersdorf eine Richterin ans Verfassungsgericht kommen könnte, die nicht dem konservativen Weltbild entspricht. Statt sich inhaltlich mit ihren juristischen Qualifikationen auseinanderzusetzen, wird eine Schmutzkampagne gefahren.
SPD hält stand – noch
Die Sozialdemokraten zeigen sich bislang standhaft und halten an ihrer Kandidatin fest. Brosius-Gersdorf selbst hatte sich in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" einen Rückzug offen gehalten – allerdings nur für den Fall, dass dem Bundesverfassungsgericht Schaden drohe. Eine kluge Formulierung, die den Ball zurück ins Feld der Union spielt.
Doch wie lange kann die SPD diesem Druck noch standhalten? Die neue Große Koalition ist gerade einmal wenige Monate im Amt, und schon zeigen sich tiefe Gräben. Friedrich Merz, der als starker Kanzler angetreten war, wirkt in dieser Krise merkwürdig abwesend.
Ein Armutszeugnis für die deutsche Politik
Was wir hier erleben, ist ein Trauerspiel erster Güte. Statt sich den drängenden Problemen des Landes zu widmen – der ausufernden Kriminalität, der maroden Infrastruktur, der Wirtschaftskrise – verstrickt sich die Regierung in kleinliche Personalquerelen. Die Besetzung von Richterstellen am höchsten deutschen Gericht wird zum parteipolitischen Gezänk degradiert.
Besonders bedenklich: Die Union scheint bereit, die Unabhängigkeit der Justiz zu opfern, wenn es ihren ideologischen Interessen dient. Ein Verfassungsgericht, das nur mit genehmen Kandidaten besetzt wird, verliert seine Glaubwürdigkeit als neutrale Instanz.
Die Bürger haben diese Art von Politik satt. Sie wollen eine Regierung, die für Deutschland arbeitet, nicht gegen Deutschland. Doch was sie bekommen, ist eine Koalition, die sich schon nach wenigen Monaten in destruktiven Grabenkämpfen verliert. Wenn das die "Verantwortung für Deutschland" sein soll, von der im Koalitionsvertrag die Rede war, dann gute Nacht.