
Palmer zerpflückt Verfassungsschutz-Einstufung der AfD: "Gewagt und juristisch fragwürdig"
Mit bemerkenswert scharfen Worten hat sich Boris Palmer, der parteilose Oberbürgermeister von Tübingen, zur jüngsten Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" durch den Verfassungsschutz geäußert. Seine Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen die inhaltliche Begründung der Behörde, sondern stellt auch die rechtliche Tragfähigkeit der Einschätzung grundsätzlich in Frage.
Schwache Beweislage trotz 1.100 Seiten Gutachten
Der ehemalige Grünen-Politiker zeigt sich von der Argumentation des Verfassungsschutzes wenig beeindruckt. Statt handfester Beweise für verfassungsfeindliche Aktivitäten wie geplante Putschversuche oder die systematische Unterwanderung von Justiz und Polizei, stütze sich die Behörde hauptsächlich auf bereits bekannte öffentliche Äußerungen der Partei - vornehmlich zum Thema Migration.
Differenzierte Betrachtung statt pauschaler Verurteilung
Besonders kritisch sieht Palmer die Interpretation bestimmter Begrifflichkeiten durch den Verfassungsschutz. So seien Bezeichnungen wie "Messermänner" zwar politische Zuspitzungen, aber kein eindeutiger Beleg für rassistisches Gedankengut. Auch der Verweis auf "gewaltbereite Kulturen" sei durch die Kriminalstatistik durchaus belegbar und nicht per se verfassungsfeindlich.
Historische Dimension wird ausgeblendet
Mit einem geschichtsträchtigen Vergleich untermauert Palmer seine Kritik: Bis zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 war das Abstammungsprinzip in Deutschland gängige Praxis. "Waren Helmut Kohl und Roland Koch etwa Verfassungsfeinde, weil sie am alten Recht festhielten?", fragt Palmer provokant und entlarvt damit die argumentative Schwäche der Verfassungsschutz-Position.
Warnung vor kontraproduktiven Folgen
Der Tübinger Rathauschef warnt eindringlich vor den möglichen Konsequenzen einer rechtlich nicht wasserdichten Einstufung. Ein gescheiterter Verbotsantrag würde der AfD letztlich nur in die Hände spielen und könnte zu einem regelrechten Triumph der Partei führen. "Stramm rechts und migrationsfeindlich zu sein ist nicht verboten", so Palmers nüchterne Einschätzung der Rechtslage.
Fazit: Verfassungsschutz auf dünnem Eis
Die Analyse des erfahrenen Kommunalpolitikers legt die problematischen Aspekte der Verfassungsschutz-Entscheidung schonungslos offen. Was als Instrument zur Verteidigung der Demokratie gedacht war, könnte sich als juristischer Bumerang erweisen. Palmer prognostiziert, dass die Verfassungsrichter der Einschätzung des Verfassungsschutzes kaum folgen werden - eine Einschätzung, die angesichts der vorgebrachten Argumente durchaus plausibel erscheint.
Die aktuelle Entwicklung zeigt einmal mehr, wie wichtig eine sachliche und rechtlich fundierte Auseinandersetzung mit politischen Gegnern ist. Überzogene oder rechtlich fragwürdige Maßnahmen könnten das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken und die demokratische Kultur nachhaltig beschädigen.