
Merz' Sanktionstheater: Wenn vollmundige Ankündigungen auf Washingtons Realität treffen
Es sollte ein Zeichen der Stärke werden, doch es wurde zur Blamage. Friedrich Merz und seine europäischen Kollegen drohten Russland vor vier Wochen mit "deutlichen Verschärfungen der Sanktionen", sollte Moskau nicht innerhalb von 48 Stunden die Waffen niederlegen. Die Deadline verstrich, Putin lachte sich ins Fäustchen, und die angekündigten Konsequenzen? Fehlanzeige. Was als entschlossenes Handeln verkauft werden sollte, entpuppte sich als peinliches Schauspiel europäischer Ohnmacht.
Die Illusion europäischer Handlungsfähigkeit
Der Bundeskanzler hatte große Worte geschwungen. Man werde die Sanktionen "entschlossen" und "mit aller Konsequenz auf den Weg" bringen, tönte Merz damals in Kiew. Sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron sekundierte mit dem Versprechen, dies geschehe "in den nächsten Tagen". Doch während die europäischen Spitzenpolitiker ihre martialischen Drohungen aussprachen, übersahen sie offenbar eine entscheidende Kleinigkeit: Sie sind in dieser Frage nicht die Entscheidungsträger.
Die bittere Wahrheit offenbart sich in zwei Worten: Donald Trump. Der US-Präsident hält alle Fäden in der Hand, wenn es um weitere Sanktionen gegen Russland geht. Die Europäer können noch so viel drohen und posieren – ohne Washingtons Segen bewegt sich nichts. Diese Erkenntnis müsste eigentlich schmerzhaft sein für Politiker, die gerne von europäischer Souveränität und Handlungsfähigkeit sprechen.
Putins Antwort: Rekordangriffe statt Waffenruhe
Während Merz und seine Kollegen auf eine Reaktion aus Washington warteten, handelte Putin. Die nächtlichen Angriffe auf die Ukraine erreichten neue Rekordwerte. Marschflugkörper und Drohnen hageln seitdem in nie dagewesener Intensität auf ukrainische Städte nieder. Der Kreml-Chef führte die europäischen Drohgebärden vor wie ein Dompteur seine zahmen Löwen. Die militärische Lage Kiews verschlechterte sich dramatisch – und Europa schaute tatenlos zu.
Die drei Säulen europäischer Abhängigkeit
Warum können die Europäer nicht eigenständig handeln? Die Gründe offenbaren das ganze Ausmaß der transatlantischen Abhängigkeit. Erstens fürchtet man in Brüssel nichts mehr als eine Spaltung zwischen Europa und den USA – genau das, worauf Moskau spekuliert. Zweitens wagen es die Europäer nicht, Trumps "Friedensbemühungen" zu durchkreuzen. Man hat schon genug Ärger mit dem unberechenbaren Präsidenten und möchte nicht noch mehr provozieren. Drittens könnten wirklich wirksame Sanktionen auch die westlichen Volkswirtschaften hart treffen – ein Risiko, das man ohne amerikanische Rückendeckung nicht eingehen will.
Diese Abhängigkeit ist umso bemerkenswerter, als Europa sich gerne als Vorreiter in Sachen Werte und Menschenrechte präsentiert. Doch wenn es darauf ankommt, wenn tatsächlich gehandelt werden müsste, wartet man demütig auf das Signal aus Washington.
Das Verwirrspiel hinter den Kulissen
Was sich in den vergangenen Wochen abspielte, gleicht einem diplomatischen Kasperltheater. Der republikanische Senator Lindsey Graham tingelte durch Europa und warb für "knochenbrechende" Sanktionen mit Importtarifen von bis zu 500 Prozent für Länder, die weiterhin russische Energie beziehen. Die EU-Außenminister zeigten sich in Warschau erfreut über die amerikanische Initiative, wagten aber keine eigene Festlegung.
Merz, Macron, Starmer und Tusk reisten medienwirksam mit dem "Bravery Express" nach Kiew – der Name des Zuges könnte ironischer nicht sein angesichts der tatsächlichen Zaghaftigkeit. Sie telefonierten mit Trump, glaubten kurzzeitig, ihn auf ihrer Seite zu haben, und mussten dann erleben, wie der US-Präsident nach einem zweistündigen Telefonat mit Putin plötzlich von Friedensgesprächen schwärmte.
Von der Leyens Scheinriesen
Während in Istanbul Gespräche zwischen amerikanischen, russischen und ukrainischen Unterhändlern anstanden, versuchte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Tirana Entschlossenheit zu demonstrieren. Sie kündigte Details eines 18. Sanktionspakets an: Sanktionen gegen die bereits zerstörten Nord-Stream-Pipelines, weitere Schiffe auf der Liste der russischen Schattenflotte, eine Senkung der Preisobergrenze für Öl. Maßnahmen, die in ihrer praktischen Wirkung weitgehend symbolischer Natur wären – ein Papiertiger, den sowohl Trump als auch Putin sofort als solchen erkannten.
Das am 20. Mai verabschiedete 17. Sanktionspaket der EU war dann auch genau das: eine Beruhigungspille für die europäische Öffentlichkeit, aber kein wirksames Druckmittel gegen Moskau. "Weitgehend zahnlos und ohne größere Bedeutung", wie es in Diplomatenkreisen hieß.
Trumps Bremsmanöver
Nach seinem Telefonat mit Putin trat Trump bei neuen Sanktionen auf die Bremse. Er befürchte, so wurde berichtet, dass neue Sanktionen Russland von Friedensgesprächen abhalten könnten. US-Außenminister Marco Rubio bestätigte diese Linie: Die Drohung mit Sanktionen könnte dazu führen, dass Russland die Gespräche abbricht.
Die Europäer stehen nun da wie begossene Pudel. Sie warten auf ein "Memorandum" aus Moskau, das Putin angekündigt hatte, aber auf sich warten lässt. Trump zeigt sich zunehmend frustriert über die russischen Verzögerungstaktiken und die fortgesetzten Angriffe auf die Ukraine. "Was zum Teufel ist mit ihm passiert?", fragte er über Putin. Doch ob diese Frustration zu tatsächlichen Sanktionen führt, bleibt offen.
Der europäische Alptraum
In Brüssel wächst die Sorge vor einem Szenario, das aus europäischer Sicht einem Alptraum gleichkäme: Trump könnte sich entnervt aus seiner Vermittlerrolle zurückziehen, die Europäer mit der Ukraine allein lassen und gleichzeitig eine neue wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland aufbauen. Die Exploration der Arktis wäre nur ein Beispiel für mögliche gemeinsame Projekte.
Während Merz zum Thema Sanktionen schweigt – vermutlich aus Scham über seine voreiligen Ankündigungen –, versucht Macron erneut, Stärke zu demonstrieren. Man solle Putin eine neue Frist setzen und dann massive Vergeltungsschritte folgen lassen, fordert der französische Präsident. Doch auch er weiß: Ohne Washington geht nichts.
Die deutsche Zurückhaltung
Besonders pikant ist die Rolle der Bundesregierung bei der Frage der eingefrorenen russischen Vermögen von über 300 Milliarden Euro. Während die baltischen Staaten auf eine schnelle Einziehung drängen, zeigt sich Berlin traditionell zurückhaltend. Man wartet auf eine rechtliche Prüfung aus Brüssel, die der deutsche EU-Beamte Frank Hoffmeister leitet. Eine typisch deutsche Herangehensweise: Erst prüfen, dann zögern, dann auf Washington warten.
Die ganze Episode offenbart die fundamentale Schwäche der europäischen Außenpolitik. Man redet groß, handelt klein und ist am Ende auf das Wohlwollen Washingtons angewiesen. Merz' Sanktionsdrohung war ein Lehrstück in außenpolitischer Selbstüberschätzung. Putin hat es verstanden und entsprechend gehandelt. Die Ukraine zahlt den Preis für diese europäische Schwäche mit dem Blut ihrer Bürger.
Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis: Europa mag wirtschaftlich stark sein, aber außenpolitisch ist es ein Zwerg, der sich hinter dem großen Bruder jenseits des Atlantiks versteckt. Solange sich das nicht ändert, werden vollmundige Ankündigungen wie die von Merz weiterhin das bleiben, was sie sind: heiße Luft, die Putin kalt lässt.