
Prominenter US-Ökonom distanziert sich scharf von Israels Politik
Der renommierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs hat in einem offenen Brief an den israelischen Außenminister Gideon Sa'ar eine vernichtende Kritik an der Politik der israelischen Regierung geübt. In dem Schreiben, das nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats verfasst wurde, distanziert sich Sachs als Jude vehement von der Behauptung, Israel sei der Staat aller Juden weltweit.
Fundamentale Ablehnung des zionistischen Staatsverständnisses
Mit ungewöhnlicher Schärfe weist Sachs die Aussage Sa'ars zurück, Israel sei „der souveräne Staat des jüdischen Volkes". Diese Behauptung sei schlichtweg falsch, so der Professor. Israel sei ausschließlich der souveräne Staat seiner eigenen Bürger, nicht aber aller Juden weltweit. „Ich bin Jude und Bürger der Vereinigten Staaten. Israel ist nicht mein Staat und wird es nie sein", stellt Sachs unmissverständlich klar.
Der Ökonom geht noch weiter und bezeichnet die zionistische Gleichsetzung von Judentum und Nationalität als Widerspruch zu 2000 Jahren jüdischer Tradition. Für ihn und Millionen andere Juden sei das Judentum eine Frage von Ethik, Kultur, Tradition und Glauben – nicht aber von Nationalität. Besonders brisant: Sachs verweist auf rabbinische Gelehrte des Babylonischen Talmuds, die eine Massenrückkehr nach Jerusalem explizit verboten hätten.
Schwere Vorwürfe gegen die israelische Regierung
Die Kritik des Professors beschränkt sich keineswegs auf theologische Fragen. Er wirft der israelischen Regierung vor, für den Tod von etwa 18.500 palästinensischen Kindern verantwortlich zu sein und zwei Millionen Palästinenser verhungern zu lassen. Dabei scheut er nicht davor zurück, von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu sprechen, in die er als Jude nicht hineingezogen werden wolle.
Besonders pikant ist Sachs' Hinweis darauf, dass Premierminister Netanyahu selbst jahrelang an der Finanzierung der Hamas beteiligt gewesen sei – eine Tatsache, die in Sa'ars Rede vor dem UN-Sicherheitsrat unerwähnt geblieben sei. Der Ökonom sieht darin entweder „Begriffsstutzigkeit oder Ausflüchte", die für Israel selbst tragisch seien.
Die Zweistaatenlösung als einziger Ausweg
Während 147 Länder bereits den Staat Palästina anerkennen und 170 UN-Mitgliedsstaaten sich für das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung ausgesprochen haben, stelle sich Israel mit seiner Blockadehaltung gegen fast die gesamte Weltgemeinschaft. Nur sechs Staaten, darunter die USA und Israel selbst, hätten dagegen gestimmt.
Sachs verweist auf die kürzlich verabschiedete „New Yorker Erklärung zur friedlichen Beilegung der Palästinafrage", bei der arabische und islamische Nationen Frieden und eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel angeboten hätten – unter der Bedingung einer Zweistaatenlösung. Die israelische Regierung lehne dies ab, weil sie die Herrschaft über ganz Palästina anstrebe.
Warnung vor dem Untergang Israels
In einer düsteren Prophezeiung warnt der Professor, dass die größte Bedrohung für Israels Überleben nicht von arabischen Nationen, Palästinensern oder dem Iran ausgehe, sondern von der extremistischen Politik der eigenen Regierung. „Die jüdischen Propheten lehrten immer wieder, dass Unrechtsstaaten nicht lange überleben", mahnt Sachs eindringlich.
Bemerkenswert ist auch seine Analyse der amerikanischen Unterstützung für Israel: Diese basiere hauptsächlich auf christlich-evangelikalen Protestanten, die glaubten, die Versammlung der Juden in Israel sei der Auftakt zur Verdammnis oder Bekehrung der Juden und zum Weltuntergang. In der amerikanischen Öffentlichkeit hingegen liege die Ablehnung des israelischen Vorgehens bereits bei 60 Prozent.
Ein Weckruf zur rechten Zeit?
Der Brief von Jeffrey Sachs dürfte in Israel wie eine Bombe einschlagen. Wenn selbst prominente jüdische Intellektuelle sich derart scharf von der israelischen Politik distanzieren, sollte dies der Regierung in Jerusalem zu denken geben. Die Tatsache, dass Sachs den Zionismus für die Schwächung und Zerstörung „unzähliger lebendiger jüdischer Gemeinschaften weltweit" verantwortlich macht, ist ein Vorwurf von historischer Tragweite.
Ob dieser eindringliche Appell in Jerusalem Gehör finden wird, bleibt abzuwarten. Die bisherige Haltung der Regierung unter Netanyahu, Smotrich und Ben-Gvir lässt wenig Hoffnung auf einen Kurswechsel zu. Doch Sachs' Warnung ist unmissverständlich: Ohne eine Zweistaatenlösung und die Beendigung des Unrechts gegenüber den Palästinensern werde Israel nicht überleben können – weder Atomwaffen noch die Unterstützung der USA könnten dies verhindern.
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