Kettner Edelmetalle
05.09.2025
16:00 Uhr

KI als Kopfgeldjäger: Wie US-Krankenversicherungen mit künstlicher Intelligenz Patienten im Stich lassen

Die amerikanische Gesundheitsversorgung steht vor einem gefährlichen Wendepunkt. Was als technologischer Fortschritt verkauft wird, entpuppt sich als perfides System zur systematischen Verweigerung medizinischer Leistungen. Die Centers for Medicare and Medicaid Services haben angekündigt, dass sie ab Januar 2025 in sechs Bundesstaaten ein Pilotprogramm starten, bei dem KI-Modelle darüber entscheiden sollen, welche medizinischen Behandlungen genehmigt werden – und welche nicht.

Das Pikante daran: Die beteiligten KI-Unternehmen erhalten einen prozentualen Anteil der eingesparten Gelder, wenn sie Behandlungen ablehnen. Ein System, das David A. Lipschutz vom Center for Medicare Advocacy treffend als "Kopfgeldjäger-Modell" bezeichnet. Die Perversität dieses Ansatzes könnte kaum offensichtlicher sein: Je mehr Patienten die dringend benötigte medizinische Versorgung verweigert wird, desto höher fallen die Profite der Tech-Konzerne aus.

Der schleichende Tod des Hippokratischen Eids

Während Regierungsvertreter beschwichtigen und versichern, dass zunächst nur etwa ein Dutzend als "verschwenderisch" eingestufte Verfahren betroffen seien, warnen Experten vor einer gefährlichen Entwicklung. Der Chirurg Vinay Rathi aus Ohio bringt es auf den Punkt: "Man fragt sich doch, wohin das führen wird. Das könnte eine gefährliche Entwicklung sein."

Die Geschichte lehrt uns, dass solche "Pilotprojekte" selten bei ihrem ursprünglichen Umfang bleiben. Was heute als begrenzte Maßnahme zur Kosteneinsparung verkauft wird, könnte morgen zum Standard für die gesamte Gesundheitsversorgung werden. Die Aussicht, dass Algorithmen über Leben und Tod entscheiden, während ihre Entwickler an jeder verweigerten Behandlung verdienen, sollte jeden vernünftigen Menschen alarmieren.

Die Illusion menschlicher Kontrolle

Besonders zynisch mutet die Versicherung der Behörden an, dass die endgültigen Entscheidungen von "entsprechend zugelassenen menschlichen Klinikern" getroffen würden. Eine Untersuchung von ProPublica aus dem Jahr 2023 zeigt die Realität: Der Versicherer Cigna nutzte bereits einen Algorithmus zur automatischen Ablehnung von Anträgen, die anschließend von Ärzten "geprüft" wurden – ohne dass diese auch nur einen Blick in die Patientenakten warfen. Die menschliche Komponente wird zur reinen Farce, zum Feigenblatt für ein System, das Profite über Patienten stellt.

Deutschland als nächstes Opfer?

Was in den USA beginnt, schwappt erfahrungsgemäß mit einigen Jahren Verzögerung über den Atlantik. Die deutschen Krankenkassen, die sich gerne als "Gesundheitskassen" bezeichnen, könnten schon bald auf ähnliche Ideen kommen. Bereits jetzt agieren sie oft mehr als Inkassobüros des Medizinkomplexes denn als Fürsprecher der Patienten.

Eines ist jedoch sicher: Während bei lebensnotwendigen Behandlungen künftig der Rotstift angesetzt werden könnte, werden bestimmte Bereiche von solchen Sparmaßnahmen ausgenommen bleiben. Die Pharmaindustrie wird ihre Pfründe zu verteidigen wissen, und gewisse medizinische Interventionen, die eher dem Profit als dem Patientenwohl dienen, werden weiterhin großzügig finanziert werden.

Die Entmenschlichung der Medizin

Was wir hier erleben, ist nichts weniger als die systematische Entmenschlichung des Gesundheitswesens. Patienten werden zu Kostenfaktoren degradiert, ihre Leiden zu Datenpunkten in einem Algorithmus. Die Ironie dabei: Während die Politik ständig von "Digitalisierung" und "Innovation" schwärmt, werden genau diese Technologien eingesetzt, um den Menschen ihre grundlegendsten Rechte zu verwehren – das Recht auf angemessene medizinische Versorgung.

Die Tatsache, dass die KI-Unternehmen direkt von abgelehnten Behandlungen profitieren, schafft einen perversen Anreiz. Es geht nicht mehr darum, die beste medizinische Entscheidung zu treffen, sondern die profitabelste. Und in diesem System ist die profitabelste Entscheidung fast immer die Verweigerung der Behandlung.

Ein Blick in die dystopische Zukunft

Das "Wasteful and Inappropriate Service Reduction model" – schon der Name klingt wie aus einem Orwell-Roman – könnte in den nächsten sechs Jahren mehrere Milliarden Dollar "einsparen". Geld, das nicht in die Behandlung kranker Menschen fließt, sondern in die Taschen von Tech-Konzernen und Versicherungsgesellschaften.

Wir stehen an einem Scheideweg. Entweder wir akzeptieren diese Entwicklung und lassen zu, dass Algorithmen über unser Wohlergehen entscheiden, oder wir wehren uns gegen diese Entmenschlichung der Medizin. Die Erfahrung zeigt: Was in den USA beginnt, erreicht früher oder später auch Europa. Es ist höchste Zeit, dass wir aus den Fehlern anderer lernen, bevor es zu spät ist.

Die wahre Tragödie liegt darin, dass Technologie, die eigentlich dazu dienen sollte, die medizinische Versorgung zu verbessern und effizienter zu gestalten, nun als Waffe gegen die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingesetzt wird. Kranke Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, werden zu Opfern eines Systems, das Profit über Menschlichkeit stellt. Das ist nicht nur ethisch verwerflich – es ist ein Verrat an den Grundwerten unserer Zivilisation.

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