
Instagram-Ikone Baddie Winkle: Das Ende einer digitalen Ära
Die sozialen Medien trauern um eine ihrer schillerndsten Persönlichkeiten. Helen Ruth Elam Vanwinkle, besser bekannt als Baddie Winkle, verstarb am 4. September im Alter von 97 Jahren. Mit über drei Millionen Followern auf Instagram war sie der lebende Beweis dafür, dass Alter nur eine Zahl ist – zumindest wenn man bereit ist, sich dem Zeitgeist bedingungslos zu unterwerfen.
Vom Farmerleben zum digitalen Ruhm
Die Geschichte der Helen Vanwinkle liest sich wie ein modernes Märchen der Aufmerksamkeitsökonomie. Jahrzehntelang führte sie ein beschauliches Leben auf einer kleinen Farm in Waco, Kentucky. Dann kam 2014 der Wendepunkt: Ein einziges Foto, geschossen von ihrer Urenkelin, katapultierte die damals 85-Jährige in die schillernde Welt der Influencer. Jeansshorts, Batikshirt – fertig war die Internetikone.
Was folgte, war ein rasanter Aufstieg in einer Welt, die eigentlich für eine ganz andere Generation gemacht schien. Vanwinkle wurde zur "Baddie Winkle" und sammelte Follower wie andere Menschen ihres Alters Briefmarken. Die Promiwelt lag ihr zu Füßen: Rihanna, Gwen Stefani, Miley Cyrus – alle wollten ein Stück vom Glanz der Instagram-Oma abhaben.
Die Schattenseiten des späten Ruhms
Doch was auf den ersten Blick wie eine herzerwärmende Geschichte klingt, wirft bei genauerer Betrachtung Fragen auf. War es wirklich die 85-jährige Helen, die sich entschied, ihr Leben der digitalen Öffentlichkeit zu präsentieren? Oder wurde hier eine ältere Dame zum Spielball einer Generation, die ständig nach dem nächsten viralen Hit giert?
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 2024 gab es nur noch drei Beiträge auf ihrem Account, 2023 sogar nur ein einziges Throwback-Foto. War die digitale Maschinerie zu anstrengend geworden? Hatte sich die Realität des hohen Alters durchgesetzt gegen die ewige Jugendlichkeit der Instagram-Filter?
Ein Phänomen unserer Zeit
Baddie Winkle verkörperte wie kaum eine andere Person den Zeitgeist einer Epoche, in der Authentizität zur Ware geworden ist. Ihre extravaganten Outfits, ihre zur Schau gestellte Lebensfreude – all das bediente perfekt die Sehnsüchte einer Generation, die das Altern verdrängt und gleichzeitig romantisiert.
Die Reaktionen auf ihren Tod zeigen, wie tief diese parasoziale Beziehung ging. "Du hast so vielen Frauen gezeigt, dass Altern keine Schönheit und Kraft wegnimmt", schreibt eine Nutzerin. Doch hat sie das wirklich gezeigt? Oder hat sie vielmehr demonstriert, dass man nur dann als älterer Mensch Aufmerksamkeit bekommt, wenn man sich den Spielregeln der Jugend unterwirft?
Die Vermarktung des Alters
Noch im März dieses Jahres gab es einen Post mit einem Werbepartner. Die Kommerzialisierung machte auch vor der 97-Jährigen nicht halt. Man könnte argumentieren, dass dies ein Zeichen ihrer Selbstbestimmung war. Man könnte aber auch fragen, ob hier nicht eine verletzliche Person zum Objekt einer gnadenlosen Aufmerksamkeitsmaschinerie wurde.
Die Urenkelin verkündete den Tod mit den Worten: "Gestern endete eine Ära und ein Stern stieg auf." Eine poetische Umschreibung für das Ende eines Lebens, das in seinen letzten Jahren vor allem eines war: Content für die sozialen Medien.
Was bleibt von Baddie Winkle?
In einer Zeit, in der traditionelle Werte zunehmend verdrängt werden von einer oberflächlichen Selbstdarstellungskultur, war Baddie Winkle sowohl Symptom als auch Symbol. Sie zeigte, dass auch ältere Menschen ihren Platz in der digitalen Welt finden können – aber zu welchem Preis?
Während ihre Fans sie als "Inspiration" feiern und davon sprechen, dass sie "Berge versetzt" habe, bleibt die Frage: Hat sie wirklich etwas verändert? Oder war sie nur ein weiteres Kuriosum in der endlosen Parade der Internet-Phänomene, konsumiert und vergessen im Rhythmus der Algorithmen?
Helen Vanwinkle ist tot. Baddie Winkle lebt weiter – als digitales Gespenst in den Archiven von Instagram, als Erinnerung an eine Zeit, in der eine 85-Jährige in Jeansshorts zur Sensation werden konnte. Ob das ein Fortschritt ist oder ein Zeichen unserer kulturellen Verarmung, muss jeder für sich selbst entscheiden.
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