
Europa muss endlich erwachen: Die bittere Wahrheit über Amerikas neue Rolle
Der renommierte Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani hat in einem Interview mit der "Rheinischen Post" eine schonungslose Analyse der transatlantischen Beziehungen geliefert, die vielen Europäern die Augen öffnen dürfte. Seine Worte treffen den Nerv einer Zeit, in der sich die geopolitischen Machtverhältnisse fundamental verschieben – und Europa dabei zunehmend ins Hintertreffen gerät.
Das Ende einer Illusion
Die USA seien kein Verbündeter mehr, der Europa Schutz biete, sondern vielmehr "ein Rivale, bestenfalls ein Geschäftspartner", so Kermanis ernüchternde Einschätzung. Diese Erkenntnis kommt spät – vielleicht zu spät. Während unsere Regierungschefs weiterhin von gemeinsamen Werten schwärmen und transatlantische Sonntagsreden halten, hat sich Washington längst neu orientiert. Die Realität ist brutal: Amerika betrachtet Europa mittlerweile wie Afrika – als Markt, als Vasallen, als nützlichen Idioten.
Besonders bitter ist dabei die Erkenntnis unserer eigenen Verwundbarkeit. "Wir sind erpressbar, denn ohne Amerika haben wir keine Sicherheit", bringt Kermani das europäische Dilemma auf den Punkt. Jahrzehntelang haben sich die europäischen Staaten unter dem amerikanischen Schutzschirm eingerichtet, eigene Verteidigungskapazitäten vernachlässigt und sich in einer trügerischen Sicherheit gewiegt.
Der Wendepunkt: Kabul 2021
Für Kermani war nicht die Wahl Donald Trumps der entscheidende Moment des amerikanischen Rückzugs aus der Rolle als Ordnungsmacht. Es waren die verstörenden Bilder vom Flughafen Kabul im August 2021, als verzweifelte Menschen sich an abfliegende US-Militärmaschinen klammerten. "Amerika übergab das Land den Taliban", konstatiert der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels von 2015 nüchtern.
"Der Moment, in dem es wirklich kippte, war der Fall von Kabul. Mit diesen Bildern vom Flughafen, wo Menschen sich an die abfliegenden amerikanischen Flugzeuge klammerten."
Diese Bilder waren mehr als nur eine humanitäre Katastrophe – sie waren das Symbol für das Ende einer Ära. Sie zeigten der Welt, dass Amerika seine Verbündeten im Stich lässt, wenn es den eigenen Interessen dient. Eine Lektion, die auch Europa nicht ignorieren kann.
Europas letzte Chance
Kermanis Analyse lässt nur einen Schluss zu: Europa muss endlich erwachsen werden. Nach Jahren des Stillstands müsse der Kontinent wieder "diese europäische Dynamik entwickeln und so mutig Europa bauen, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist". Doch genau hier liegt das Problem: Statt einer gemeinsamen Vision dominieren nationale Egoismen, bürokratische Verkrustungen und ideologische Grabenkämpfe die europäische Politik.
Die neue Große Koalition unter Friedrich Merz mag zwar versprechen, Deutschland wieder zu stärken, doch ohne ein starkes, geeintes Europa wird auch Deutschland allein wenig ausrichten können. Die Zeit der amerikanischen Schutzmacht ist vorbei – unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Diese Realität anzuerkennen und entsprechend zu handeln, ist die vielleicht größte Herausforderung unserer Zeit.
Was bedeutet das für unsere Zukunft?
Die Konsequenzen von Kermanis Analyse sind weitreichend. Europa steht vor der Wahl: Entweder es findet zu alter Stärke und Einigkeit zurück, oder es wird zum Spielball der neuen Weltmächte. Die romantische Vorstellung einer ewigen transatlantischen Partnerschaft hat ausgedient. In einer Welt, in der Amerika Europa wie einen beliebigen Absatzmarkt behandelt, müssen wir unsere eigenen Interessen definieren und verteidigen lernen.
Es ist höchste Zeit, dass unsere politischen Eliten diese unbequeme Wahrheit akzeptieren und entsprechend handeln. Die Alternative wäre ein Europa, das zwischen den Großmächten zerrieben wird – ein Schicksal, das wir uns nicht leisten können.
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