
Digitale Entmündigung: Patienten verlieren Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten
Die elektronische Patientenakte sollte eigentlich ein Fortschritt sein – doch was sich derzeit abspielt, gleicht eher einem digitalen Albtraum. Das Bundesgesundheitsministerium hat stillschweigend die Selbstbestimmungsrechte der Patienten über ihre sensibelsten Daten beschnitten. Künftig können Versicherte nicht mehr selbst entscheiden, welche Ärzte auf welche ihrer Gesundheitsdokumente zugreifen dürfen. Ein Skandal, der zeigt, wie wenig diese Regierung von Datenschutz und Bürgerrechten hält.
Der gläserne Patient wird Realität
Was das Ministerium als "Verbesserung der Behandlungsqualität" verkauft, ist in Wahrheit ein massiver Eingriff in die Privatsphäre. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Anne-Mieke Bremer bringt es schonungslos ans Licht: Eine differenzierte Zugriffsbeschränkung für einzelne Behandlungsdokumente je Leistungserbringer sei "nicht vorgesehen". Im Klartext bedeutet das: Entweder gewährt man einem Arzt Zugriff auf alles oder auf nichts.
Noch bis Januar konnten Patienten ihre Dokumente wenigstens in Kategorien wie "normal", "vertraulich" oder "streng vertraulich" einteilen. Diese minimale Kontrolle wurde nun auch noch abgeschafft. Die Begründung des Ministeriums klingt wie blanker Hohn: Die elektronische Patientenakte könne nur dann "Mehrwerte schaffen", wenn alle Informationen zur Verfügung stünden. Als ob ein Orthopäde unbedingt wissen müsste, welche Antidepressiva sein Patient nimmt, oder ein Zahnarzt Einblick in gynäkologische Befunde benötigte.
Totale Transparenz statt Datenschutz
Besonders brisant wird es beim sogenannten "digital gestützten Medikationsprozess", der ab Juli eingeführt werden soll. Dann kann jeder behandelnde Arzt nicht nur alle verschriebenen Medikamente einsehen – unabhängig davon, ob diese für seine Behandlung relevant sind –, sondern erhält auch Zugriff auf den kompletten Medikationsplan mit allen Einnahmezeiten. Die Gematik, zuständig für den Betrieb der elektronischen Patientenakte, stellte unmissverständlich klar: "Einzelne Zeilen oder Einträge werden auch in Zukunft nicht verborgen werden können."
Diese Totalüberwachung im Gesundheitswesen passt perfekt ins Bild einer Regierung, die den mündigen Bürger offenbar für ein Auslaufmodell hält. Während man bei jedem Online-Dienst detailliert einstellen kann, wer welche Informationen sehen darf, werden ausgerechnet bei den sensibelsten persönlichen Daten – unseren Gesundheitsinformationen – die Kontrollmöglichkeiten systematisch abgebaut.
Sicherheitslücken und Chaos inklusive
Als wäre der Verlust der Datenkontrolle nicht genug, kämpft das System auch noch mit massiven technischen Problemen. Der bundesweite Rollout musste bereits verschoben werden, weil gravierende Sicherheitslücken aufgetreten waren. Selbst nach dem Start im April rissen die Probleme nicht ab, wie der Chaos Computer Club aufdeckte. Der damalige Gesundheitsminister Lauterbach musste die Sicherheitslücken eingestehen – versicherte aber natürlich, diese seien geschlossen worden. Wer's glaubt.
Die Zahlen mögen auf den ersten Blick beeindruckend klingen: 46.000 von 160.000 Gesundheitseinrichtungen nutzen bereits die elektronische Patientenakte, im Mai wurden 50 Millionen Akten geöffnet, an Spitzentagen gab es bis zu sechs Millionen Zugriffe gleichzeitig. Doch was nützen diese Erfolgsmeldungen, wenn die Bürger dabei ihre Selbstbestimmung verlieren?
Die elektronische Patientenakte hätte ein Instrument zur Stärkung der Patientenautonomie werden können. Stattdessen erleben wir eine schleichende Entmündigung, bei der Datenschutz und Privatsphäre auf dem Altar vermeintlicher Effizienz geopfert werden. Es ist höchste Zeit, dass die Bürger aufwachen und sich gegen diese digitale Bevormundung zur Wehr setzen. Denn wer heute seine Gesundheitsdaten nicht mehr kontrollieren kann, verliert morgen vielleicht noch ganz andere Freiheiten.
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