
Deutsch-französischer Gipfel in Toulon: Zwischen Scheinharmonie und echten Differenzen
Wenn sich heute die deutsche und französische Regierung im mediterranen Toulon trifft, könnte man meinen, die deutsch-französische Freundschaft erlebe eine Renaissance. Doch der Schein trügt gewaltig. Während Bundeskanzler Friedrich Merz und Präsident Emmanuel Macron öffentlich die "Achse" in der EU beschwören, brodelt es hinter den Kulissen gewaltig.
Ein Treffen unter denkbar schlechten Vorzeichen
Das Timing könnte kaum ungünstiger sein. Die französische Regierung unter Premierminister François Bayrou steht vor dem Kollaps. Am 8. September stellt er die Vertrauensfrage – und wird sie aller Voraussicht nach verlieren. Ein politisch angeschlagener Macron trifft auf einen Merz, der nach dem Ampel-Desaster nun mit der SPD regieren muss. Beide Staatschefs kämpfen mit innenpolitischen Herausforderungen, die ihre Handlungsfähigkeit massiv einschränken.
Besonders pikant: Während Deutschland mit über drei Millionen Arbeitslosen den höchsten Stand seit 2015 verzeichnet, träumt man in Berlin und Paris von gemeinsamen Wirtschaftsprojekten. Die Realität sieht anders aus. Die deutsche Wirtschaft schwächelt, französische Unternehmen kämpfen mit Streiks und Protesten.
Das Rüstungsdebakel FCAS offenbart tiefe Gräben
Nichts symbolisiert das deutsch-französische Dilemma besser als das Luftkampfsystem FCAS. Ursprünglich als Prestigeprojekt europäischer Verteidigungskooperation gedacht, verkommt es zum Zankapfel nationaler Egoismen. Merz musste bereits einräumen, dass eine Einigung in weite Ferne gerückt sei. Die neue Zielmarke Jahresende dürfte ebenfalls Makulatur sein.
Während Europa dringend eine eigenständige Verteidigungsfähigkeit bräuchte – gerade angesichts der Ukraine-Krise und Trumps Amerika-First-Politik – verzetteln sich Berlin und Paris in technischen Details und Industrieinteressen. Die USA verkaufen derweil Waffen für 706 Millionen Euro an die Ukraine. Europa diskutiert.
Fundamentale Differenzen bleiben unüberbrückbar
Die Liste der Streitpunkte liest sich wie ein Kompendium europäischer Uneinigkeit: Frankreich fordert Gemeinschaftsschulden für die Rüstung – Deutschland lehnt ab. Paris setzt auf Kernenergie – Berlin ist ausgestiegen. Beim Mercosur-Abkommen blockiert Frankreich, während Deutschland auf Freihandel pocht.
Diese Differenzen sind keine Petitessen, sondern fundamentale Weichenstellungen für Europas Zukunft. Während China systematisch den europäischen Markt mit illegalen Produkten flutet und gezielt Schwachstellen in unserer Infrastruktur sucht, streiten Berlin und Paris über Verfahrensfragen.
Symbolpolitik statt Substanz
Was bleibt vom Gipfel in Toulon? Eine Wirtschaftserklärung mit "acht strategischen Konzepten" und "20 Leuchtturmprojekten". Wer bei solchen Formulierungen nicht hellhörig wird, hat die letzten Jahre europäischer Politik verschlafen. Hinter wohlklingenden Phrasen verbirgt sich meist heiße Luft.
Die angekündigte Sicherheitserklärung dürfte ähnlich substanzlos ausfallen. Während Russland seinen Krieg in der Ukraine fortsetzt und der Nahe Osten in Flammen steht, produziert Europa Papiere. Die Bürger erwarten Taten, bekommen aber Worthülsen.
Ein Neustart, der keiner ist
Macron sprach von einem "neuen Kapitel" in den deutsch-französischen Beziehungen. Doch was unterscheidet dieses Kapitel vom vorherigen? Die handelnden Personen mögen gewechselt haben, die strukturellen Probleme bleiben. Deutschland und Frankreich verfolgen unterschiedliche Visionen für Europa – und keine Seite ist bereit, substantielle Kompromisse einzugehen.
Der wahre Test für die deutsch-französische Zusammenarbeit kommt erst noch. Wenn Bayrous Regierung fällt und Frankreich möglicherweise in Neuwahlen schlittert, wenn Deutschlands Große Koalition unter dem Druck von Wirtschaftskrise und Migration zerbrechen sollte – dann zeigt sich, ob die beschworene Achse mehr ist als diplomatisches Theater.
Europa braucht keine weiteren Gipfeltreffen in malerischen Küstenstädten. Es braucht Führung, klare Entscheidungen und den Mut, nationale Egoismen zu überwinden. Davon war in Toulon wenig zu spüren. Die deutsch-französische Freundschaft mag historisch gewachsen sein – ihre Zukunftsfähigkeit steht auf dem Prüfstand.
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