Kettner Edelmetalle
29.08.2025
10:47 Uhr

Russlands Energiesektor brennt: Wenn Drohnen die Achillesferse der Kriegswirtschaft treffen

Während deutsche Autofahrer über Benzinpreise von zwei Euro pro Liter jammern, erleben die Russen gerade ihre ganz eigene Energiewende – allerdings eine, die niemand bestellt hat. Ukrainische Drohnen verwandeln Raffinerien in Feuerbälle, Tankstellen hängen handgeschriebene Zettel mit "Kein Benzin" aus, und die Preise explodieren schneller als die getroffenen Ölanlagen. Was sich wie ein Déjà-vu aus Sowjetzeiten anfühlt, könnte tatsächlich der Anfang vom Ende der russischen Kriegsmaschinerie sein.

Wenn Pipelines zu Fackeln werden

Ein gewaltiger Feuerball erhellt den Nachthimmel nahe Boschatkowo im Gebiet Rjasan – die ukrainische Antwort auf Putins Angriffskrieg trifft ins Herz der russischen Energieversorgung. Die Pipeline Richtung Moskau brennt lichterloh, nur 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Was einst als unantastbare Infrastruktur galt, verwandelt sich zunehmend in ein Schlachtfeld der modernen Kriegsführung.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 17 Prozent der russischen Raffineriekapazitäten seien bereits lahmgelegt, schätzt das Institute for the Study of War. Von Wolgograd über Rostow bis Krasnodar – überall schlagen ukrainische Drohnen zu. Allein die Raffinerie in Rjasan, die jährlich 13,1 Millionen Tonnen Treibstoff produzierte und damit fünf Prozent der russischen Gesamtproduktion stellte, liegt in Schutt und Asche.

Zurück in die Mangelwirtschaft

Die Folgen dieser präzisen Schläge erinnern fatal an die dunkelsten Zeiten der Sowjetunion. Auf den Kurilen müssen Autofahrer auf 92-Oktan-Benzin verzichten – es gibt schlichtweg keines mehr. In Chabarowsk, Irkutsk und auf der völkerrechtswidrig annektierten Krim stehen Menschen tagelang vor leeren Zapfsäulen Schlange. Besonders pikant: In Krasnokamensk im fernen Transbaikalien ist 95er-Benzin komplett ausverkauft.

Die handgeschriebenen Zettel an den Tankstellen mit Aufschriften wie "Außer Betrieb" oder "Fragen Sie erst gar nicht. Es gibt einfach kein Benzin" könnten direkt aus einem Museum für Planwirtschaft stammen. Doch diesmal ist es keine ideologische Verblendung, die zur Mangelwirtschaft führt, sondern die direkte Konsequenz eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges.

Preisexplosion als Kriegsfolge

An der Börse in Sankt Petersburg erreichte der Preis für 95er-Benzin astronomische 82.030 Rubel pro Tonne – ein Plus von 51 Prozent seit Jahresbeginn. Am Mittwoch kletterte der Kurs sogar auf 82.300 Rubel, was einer Steigerung von 55 Prozent entspricht. In Regionen ohne funktionierende Versorgung verlangen findige Händler über 200 Rubel pro Liter – umgerechnet 2,14 Euro. Zum Vergleich: Der Durchschnittspreis liegt bei 64,22 Rubel, also etwa 69 Cent.

Die russische Regierung reagiert mit typisch sowjetischen Reflexen: Exportverbote für Benzin und Diesel sollen die Versorgung sichern. Doch Analyst Sergej Kaufman von der Brokerfirma Finam macht klar, dass diese Maßnahmen die Inlandsnachfrage nicht decken können. Die hohen Leitzinsen machen zudem das Anlegen von Lagerreserven für Händler unattraktiv – ein fataler Fehler in Kriegszeiten.

Die Flamingo-Revolution

Als wäre die Lage nicht schon dramatisch genug, hat die Ukraine mit der Flamingo-Rakete ein neues Ass im Ärmel. Mit einer Reichweite von 3.000 Kilometern und einem Sprengkopf von 1.150 Kilogramm kann diese Waffe Ziele tief im russischen Hinterland treffen. Fabian Hoffmann von der Universität Oslo hält die Flamingo für einen möglichen "Game Changer": Mit 3.000 bis 5.000 dieser Raketen könne die Ukraine innerhalb von nur zwei Tagen ein Viertel der russischen Wirtschaftsleistung vernichten.

Die bisherige Bilanz ist bereits verheerend: Nach ukrainischen Angaben belaufen sich die russischen Verluste allein in diesem Jahr auf 74 Milliarden US-Dollar. Fast 40 Prozent der Angriffe trafen Ziele mehr als 500 Kilometer im Landesinneren – ein deutliches Signal, dass kein Winkel Russlands mehr sicher ist.

Strukturelle Schwächen werden zur Achillesferse

Die aktuelle Krise offenbart schonungslos die strukturellen Defizite des russischen Energiesektors. Seit Sowjetzeiten wird Diesel im Überschuss produziert, während die Benzinproduktion nur knapp über der Binnennachfrage liegt. Die Transportinfrastruktur ächzt unter der Last der nach Asien umgeleiteten Exporte, während im Süden ukrainische Angriffe wichtige Strecken blockieren.

Besonders bitter: Viele moderne Raffinerien arbeiteten mit westlicher Technologie von Shell und anderen Konzernen. Seit den Sanktionen 2022 fehlen Ersatzteile, Software und Katalysatoren. Chinesische Alternativen erweisen sich als weniger effizient, ganze Prozesslinien müssen umgebaut werden – ein Unterfangen, das Monate dauert und die Versorgung weiter verschlechtert.

Internationale Dimensionen der Krise

Die von US-Präsident Trump verhängten Strafzölle gegen Indien in Höhe von 50 Prozent erschweren russische Rohölexporte zusätzlich. Neu-Delhi drosselt seine Importe drastisch, was Moskaus Versuch zunichtemacht, sinkende Einnahmen durch erweiterte Exporte zu kompensieren. Im ersten Halbjahr 2024 sanken die russischen Exporterlöse bereits um 20,3 Milliarden Dollar auf 110,1 Milliarden Dollar.

Trotz allem fließen weiterhin enorme Summen aus Öl- und Gasexporten: Seit Februar 2022 verdiente Russland über 883 Milliarden Euro – davon stammten mehr als 228 Milliarden Euro aus Ländern, die eigentlich Sanktionen verhängt hatten. Allein die EU zahlte 209 Milliarden Euro und finanzierte damit indirekt den Krieg gegen die Ukraine.

Ein Winter der Entscheidung

Experten wie Boris Aronstein rechnen damit, dass Reparaturen an beschädigten Raffinerien bis zu acht Monate dauern können. Die Benzinkrise könnte sich damit bis weit in den Winter hineinziehen – eine Horrorvorstellung für ein Land, in dem Mobilität überlebenswichtig ist. Die Benzinpreise sind längst zum Symbol für die Verwundbarkeit der russischen Kriegswirtschaft geworden.

Je länger die ukrainischen Angriffe andauern und je mehr moderne Waffen wie die Flamingo-Rakete zum Einsatz kommen, desto wahrscheinlicher wird es, dass Putins Energieimperium kollabiert. Was als "Spezialoperation" begann, könnte am Ende die eigene Wirtschaft in die Knie zwingen – eine Ironie der Geschichte, die selbst George Orwell nicht besser hätte erfinden können.

Die aktuelle Benzinkrise in Russland zeigt eindrücklich: Wer einen Angriffskrieg führt, muss damit rechnen, dass der Krieg zurückschlägt – und zwar dort, wo es am meisten schmerzt.

Während Russland verzweifelt versucht, seine brennenden Raffinerien zu löschen und leere Tankstellen zu füllen, wird eines immer deutlicher: Die Zeit arbeitet gegen Moskau. Jede zerstörte Pipeline, jede getroffene Raffinerie bringt das System dem Kollaps näher. Und während deutsche Politiker noch über Waffenlieferungen diskutieren, zeigt die Ukraine mit ihren Drohnenangriffen, wie moderne Kriegsführung aussieht – präzise, effektiv und verheerend für die Aggressoren.

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